Es war – und bleibt – ein Jahr der Niederlage. Jeder und jede kann diese Aussage wahrscheinlich auch auf sich selbst beziehen. Da war auch ‚unser‘ knapper Sieg über den Herrn Trump keine wirkliche Ausnahme. Der Sündenbock, dem wir und die Amerikaner so gern einiges aufpacken, ist bisher nicht beladen in die Wüste davongetrottet. Und nicht ohne Zusammenhang damit hat das Virus ‚unserer‘ Welt und ihren Ansprüchen auf immer mehr Sicherheit und „Wohlfahrt für alle“, die Ludwig Erhardt uns nach dem Zweiten Weltkrieg versprach, eine Niederlage beigebracht.
Strenger betrachtet, hat das Virus diese Ansprüche in Frage gestellt. Aus einem engeren Blickwinkel sprach „Der Spiegel“ für Deutschland von einem – vorläufigen? -„Scheitern“ des Aufbegehrens gegen das Virus.
Die Bedeutung des Wortes ‚Niederlage‘ hängt – jedenfalls im Deutschen - davon ab, ob wir es mit einem bestimmten oder einem unbestimmten Artikel versehen. Reichen die Erschütterungen für ein Umdenken in den anstehenden Fragen – metanoia, wenn es grundsätzlich sein soll -, oder verfestigen sich möglicherweise ohnehin obsolete Strukturen - ängstlich auf sich bezogen oder opportunistisch mißbraucht? Die Niederlage kann auf neue Wege führen, die nicht bloß auf Revanche und Reparatur abzielen; eine Niederlage wird von den einen grummelnd eingesteckt, von andern böswillig genutzt. Es ist schön, daß nun – gerade zu Weihnachten – der Impfstoff ins Haus steht. Aber der Blick auf ihn als ob da Rettung in dunkler Zeit verhießen wird, könnte dazu beitragen, die gerade erlittene Niederlage im Bewußtsein der Welt wieder zu lediglich ‚einer‘ Niederlage zu machen. Im Unterschied zu den anscheinend gescheiterten Anstrengungen der Einzelnen und der Gesellschaften im Kampf gegen das Virus kommt der Impfstoff - „das Vakzin“, wie es nun feierlich heißt – doch eher wie ein deus ex machina daher. Einmal mehr drohen das unmittelbare Leben und Leisten hinter dem neu aufgelegten Glanz einer wissenschaftlichen und technischer Errungenschaft zu verschwinden. Diesen Glanz zu mindern schien eine ‚Absicht‘ des Virus.
„Niederlage“ ist durchaus ein weihnachtliches Thema. Zuvor muß man sich aber mit dem Vorwurf der Kraftlosigkeit auseinandersetzen, den der Pastorensohn Nietzsche gegen das Christentum erhebt, - einerseits - und andererseits nicht sofort bei Paulus, seinem bedeutenderen Gegenspieler, und dessen Siegesrhetorik (z.B. 1. Kor 15, 55) landen. Dazwischen liegen z. B. die Vielfalt der Kräfte die die notwendige Auseinandersetzung mit dem Virus aufgerufen hat und die wieder erlebte Ungewißheit, wie es weitergehen wird, - also in gewisser Weise eine Wiederentdeckung der conditio humana auch in unseren Breiten scheinbar verminderten Lebensrisikos. Die bewußte Suche mancher Zeitgenossen nach diesem Risiko z.B. im Extremsport erübrigt sich. Wir, die Menschheit, rücken wieder etwas zusammen, ‚normalisieren uns‘ durch die Erfahrung der Niederlage. Auch unsere ‚Siege‘ ordnen sich neu ein. Der Impfstoff kann uns nur einen Teilsieg bescheren. Andererseits schließt das weihnachtliche Paradigma des Kommen Gottes in die Welt - bei aller Orientierung am Kleinen – auch Helden keineswegs aus, jedenfalls nicht Helden und Heldinnen, die aus der ‚Niederlage‘ wachsen, die ‚bei uns‘ sind oder waren, - Helden im Alltag, aber nicht des Alltags.
Damit soll nicht gesagt werde, daß die Pandemie eine gottgefällige Sache ist, sondern lediglich, daß man sie zum Anlaß nehmen sollte, um weiter zu denken und zu handeln. Die Rückbesinnung auf die conditio humana , aus der wir uns nicht herauslösen können - , was uns nicht immer bewußt ist, - ist ein guter Ausgangspunkt für eine Neubesinnung nicht nur des oder der Einzelnen, möglicherweise auch einer Gesellschaft (siehe u.a. Psalm 90, 12). Weihnachten hat also einiges zu sagen in unsere gegenwärtige Coronalage hinein. Allerdings übertreibt das Virus etwas, wenn es ausgerechnet hier in Deutschland, dem Weihnachtsland par excellence, kurz vor dem Fest die Läden zumacht, um auch noch die Letzten zur Besinnung zu bringen. Wir wären auch so drauf gekommen!
Da ich immer bis zum letzten Augenblick warte mit dem Einkauf von Geschenken, auch um meine Qual der Auswahl etwas zu verringern, stehe ich dieses Mal mit ganz leeren Händen da. Selbst die Hirten hatten Geschenke dabei, heißt es, und die drei Heiligen Könige so wie so; und das ist wahrscheinlich nicht nur ein späterer katholischer Eintrag in das Matthäusevangelium (Mt 2, 11 mit Jes 60, 6). Vor den Mitmenschen sollte man besser nicht mit leeren Händen dastehen!
Jedenfalls aber gibt es Anlaß und Grund genug, Euch und Ihnen allen Frohe Weihnachten und einen guten Beginn des kommenden Jahres zu wünschen!