Frau Merkels Entschuldigung für das Mißmanagement des Vorhabens einer Schließung des Landes über Ostern beherrscht heute alle Schlagzeilen. Die rechtlich nicht abgesicherte und von Wirtschaftskreisen gleich heftig kritisierte Maßnahme habe alle verunsichert. Man fragt sich, was diese Entschuldigung soll. Ist sie Anzeige nur von Zerknirschung oder mehr Taktik, nach Art des Winkelried Pfeile auf sich zu ziehen und damit anderen, in ihrer Partei zumal, Raum zu verschaffen und der Krise ihren Namen zu geben und andere zu schonen? Wenn Frau Merkel dann aber nicht auch den Sündenbock, - die Sündengeiß -, abgeben und in die Wüste getrieben werden will, müßte sie sich zutrauen, noch einmal die Kurve zu kriegen. Danach sieht es eher nicht aus, aber auch nicht danach, daß Frau Merkel einfach die Nerven verloren hat.
Warum also diese ziemlich heftige Bitte um Verzeihung? Sie inszeniert Gesamtverantwortung, so zu sagen ex negativo: “Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung – qua Amt ist das so …". Was die Ministerpräsidenten mal wieder stundenlang besprochen hatten, sammelte sie in eigener Autorität in fünf Minuten wieder ein. Und hat damit das ganze bisherige, zunehmend kritisierte Verfahren des gemeinsamen Krisenmanagements von Bund und Ländern desavouiert. Immer schon mal hatte sie sich unzufrieden damit geäußert. Inkonsequent erscheint ihr Schritt – vorgetragen als ‘große Entschuldigung’ - also nicht. Sie hat einen passenden Augenblick genutzt für einen Befreiungsschlag in eigener Sache – nicht nur als Wnkelried, sondern auch als Machiavelli. Wieder, nach langem Zuwarten, nimmt sie alles auf die eigene Kappe, ganz ähnlich wie 2015, als sie die Flüchtlinge ins Land ließ. Und die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen scheinen plötzlich dumm dazustehen und rennen mit ihren Entschuldigungen hinter Frau Merkel her, als wollten sie ihren Anteil an Verantwortung wahren. Wenn das Ganze also mehr nach Kriegslist aussieht als nach Zernirschung, wie soll der so geschaffene Freiraum gefüllt werden? Hat Frau Merkel vielleicht noch einen Plan?
Es kommt ja einiges zusammen in diesen Tagen: Als ich heute Morgen die Zeitung kaufte, lag da die Spiegel-Ausgabe vom 20. 3., in der Deutschland quasi Totalversagen , Dysfunktionalität überall, bescheinigt wird. Das nicht gelingende Corona-Management ist also nur die Spitze eines Eisbergs von Unzulänglichkeiten, vor denen offenbar ein Vorhang von Selbsttäuschungen zerrissen ist. Auch diesem Eindruck systemischen deutschen Versagens, für das Frau Merkel ja mehr noch als für den Mißerfolg in der Coronakrise steht, gilt wohl ihre ‘große Entschuldigung’. “Je vous ai compris!” rief pathetischer Charles de Gaulle den Franzosen zu, als er zurückkehrte zur Macht.
Ganz so hat es Frau Merkel dann aber wohl doch nicht gemeint, nehme ich an; auch wenn sie jetzt nach dieser Entschuldigung damit rechnen muß, daß noch einmal mehr von ihr erwartet wird, als lediglich ein Wiederanknüpfen am status quo ante. Es könnte folgerichtig erscheinen, würde sie jetzt ihre erneute Kanzlerkandidatur erklären; sie tappte damit aber wohl in die Falle der eingebildeten Unersetzlichkeit, wie seinerzeit Kohl. Ihre noch verbliebene Kraft ist vielmehr durchaus eng - in einer Art dialektischem Verhältnis - verbunden mit ihrem Verzicht. Eigenartigerweise besteht trotz ihrem für die Zukunft versprochenen Machtverzicht das von ihr selbst über die Jahre um sich herum geschaffenen weitgehenden Machtvakuum fort. Man fragt sich, was sie nun anfangen wird mit dieser Selbstermächtigung für sechs Monate, exakt die Frist, die in der römischen Republik einem dictator gegeben wurde, um sein Ding zu tun. Die Bühne scheint frei!
Ein großes Reformprojekt, ein Herumreißen des Steuers, über mögliche Verfahrensverbesserungen hinaus ist bis September eigentlich nicht mehr zu erwarten. Das hat es während der ganzen “Ära Merkel” auch nie gegeben. So ist Frau Merkels Entschuldigung, abgesehen von ihren taktischen Zwecken, wohl im wesentlichen ein Aufruf an ihre Landsleute, sich darin selbst zu erkennen, der Aufruf, wenn man so will, zu einer sechsmonatigen Buße für alle die Übertreibungen der letzten Jahre, deren Brüchigkeit Corona offengelegt hat.
Unterhalb dieser Metaebene funktioniert es in Berlin im Übrigen gar nicht so schlecht mit dem Kampf gegen Corona. Alex rief mich gerade an: Alles sei gut gelaufen mit seiner Impfung heute Morgen; man habe ihm sogar ein Taxi hin und zurück spendiert. Am Wochenende sind Annekathrin und ich an der Reihe.