Da mir dieses von Hans angestoßene Format, über eine Zukunft nach Corona nachzudenken, ausgesprochen gut gefällt, hier jetzt einmal ein postpandemisches 2034 meinerseits.

 

10. März 2034

Während Anna (55) am Bahnhof Fangschleuse in den Elektroshuttle umsteigt, geht sie im Kopf noch einmal die Verhandlungsstrategie für das Treffen mit den Repräsentant*innen von Tesla durch. Als Sprecherin des Berliner Verkehrsrates wird sie darauf dringen, dass das Unternehmen seinen Verpflichtungen nachkommt, zum Betrieb des Berlin-Brandenburger ÖPNV beizutragen, während die Gegenseite vermutlich wieder eine Mischung aus Selbstlob (wir engagieren uns schon massiv im Bereich nachhaltiger Verkehr) und Erpressung (wenn die Berliner Politik so radikal agiert, wissen wir nicht, wie lange wir den Standort Grünheide noch aufrecht erhalten können) aufbietet. Anna sieht dem relativ gelassen entgegen. Seit der Ansiedlung von Tesla Anfang der 2020er Jahre hat sich einiges in der Region verändert. Vorallem die Coronapandemie hat den Trend zu einer starken Regionalisierung politischer und wirtschaftlicher Aktivitäten angestoßen bzw. dort, wo sie schon vorhanden waren, wie z.B. in der vom Brexit angeschlagenen EU, verstärkt. Das erste Kabinett Söder-Baerbock hat das in der Coronakrise ad-hoc etablierte Gremium der Ministerpräsident*innenkonferenzen Ende 2021 institutionalisiert, und Schwarz-Grün hat in den darauffolgenden Jahren immer mehr Kompetenzen vom Bund auf Länderebene übertragen; so konnte die Regierung vielen Konflikten, die sich aus den doch sehr unterschiedlichen politischen Ausrichtungen ergaben, aus dem Weg gehen und Kanzler Söder sicherte sich außerdem große Beliebtheit im schon immer etwas separatistischer als der Rest der Republik ausgerichteten Bayern. Für die Region Berlin haben sich die Dinge seitdem sehr positiv entwickelt; den entscheidenden Anstoß dazu gab der zufällig mit dem Ende der Pandemie zusammenfallende Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Wohnungen der großen Immobilienunternehmen. Dies war der Auftakt zu einer in vielerlei Hinsicht erfolgreichen Stadtentwicklung. Berlin wurde, ein bisschen so wie in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, wieder der Anlaufpunkt für die jungen Kreativen aus Deutschland und weit darüber hinaus, insbesondere auch aus Osteuropa, wo das „autoritäre Jahrzehnt“ und die weitere Entfernung vieler Länder von der EU viele progressive Menschen zur Auswanderung bewegte. Die Coronapandemie beschleunigte zudem eine Entwicklung der ländlichen Räume in Brandenburg, da viele Berliner*innen während der pandemiebedingten Einschränkungen erwogen hatten, aus der Stadt heraus aufs Land zu ziehen und die Zunahme des Arbeitens von Zuhause aus dies für viele realistisch werden ließ. Die Beziehungen zwischen Berlin und Brandenburg wurden auch verstärkt durch den Trend zu einer Regionalisierung der Wirtschaft, insbesondere in den Bereichen der „systemrelevanten“ Produktion wie z.B. der Landwirtschaft. Generell hat die Pandemie weltweit zur Folge, dass das herrschende Paradigma von Neoliberalismus und Globalisierung seine hegemoniale Stellung deutlich eingebüßt hat; sowohl nationalistische, autoritäre, protektionistische, aber auch nachhaltigere und antikapitalistischere gesellschaftliche Organisationsformen erhielten dadurch Auftrieb. In der Region Berlin-Brandenburg ist man nun – auch ermutigt durch die positiven Entwicklungen nach der Vergesellschaftung von Wohnraum – dazu übergangen Infrastruktur und allgemein die Daseinsvorsorge viel stärker als vorher gesellschaftlich zu organisieren. Und dazu gehört auch, das regionale Unternehmen wie Tesla, die von der positiven Entwicklung der Region profitieren, ihren Betrag leisten und wie in diesem Fall z.B. Technik und Know-How dem öffentlichen Transportsystem zur Verfügung stellen.