Es ist der Jahrestag heute meiner Rückkehr aus Indien, - noch fröhlich verabschiedet dort mit einem Elenbogenstoß und „Hi Corona!“, – empfangen etwas düsterer hier und Abtransport an die frische Nordseeluft nach Mühlenstraßen mit Dithmarscher Autokennzeichen, - dashing past the flashlight an der mecklenburg-vorpommerschen Landesgrenze „Touristen unerwünscht“.
Hier war das Jahr über im Wesentlichen Frieden. Jeder ging seinen Geschäften nach, im Haus und draußen. Im September kamen Handwerker, um ein Zimmer zu renovieren, und, wie es in Deutschland so ist, wurden sie bis heute nicht fertig. Gelegentlich kamen auch Besucher. Die Mieter zogen aus im Zorn. Ein neuer Mieter wird kommen. Annekathrin machte zeitweise Hausunterricht für Tim, den Sohn unserer Haushaltshilfe. Ich ließ mich in Berlin am Auge operieren und fuhr auch sonst so alle sechs Wochen mal hin, um Leute zu sehen. Einmal, Ende August, war ich sogar in Georgien, um nach meiner Wohnung zu schauen. Zeitungen und Fernsehen schütteten Wortfetzen aus, wie aus einem Sack mit geschredderten Stasi-Unterlagen: „endlich eine Perspektive!“, „Enttäuschung!“, „Erwartung!“, „Einbruch!“, „Anschlag!“, „Alarmglocken!“, „inzidenzbasierte Lockerung!“ und schließlich: „respektvoller Umgang mit zwischenmenschlicher Distanz“ – eine ziemlich absurde Äußerung -! Daß es zur zweiten Welle des Virus kam, und auch die Friseure wieder schließen mußten, empfand ich als Niederlage. Man hoffte jetzt aufs Impfen. Das wollte ich eigentlich nicht.
Ich habe einen Friseurtermin, heute im Salon „Liane“ in Brunsbüttel, und einen Impftermin am 27. in Berlin im Erika-Heß-Eisstadion in der Müllerstraße.
Ändert sich damit etwas in meinem Leben? Ich bin entschlossen zu sagen, daß sich gar nichts ändert, auch wenn das anmaßend und ignorant klingen mag. Wenn denn etwas anmaßend und ignorant ist, dann ist es doch wohl das Virus! Es kam von irgendwoher und wie aus der Zeit gefallen, ahnungslos und ohne Rücksicht auf die Leistungen der menschlichen Kultur und Zivilisation, - keine Heimsuchung, vielmehr eine Zumutung! Hatte man sich im Altertum und im Mittelalter noch vor allem gebeugt vor der Pest in der unklaren Hoffnung, verschont zu bleiben, hatte Camus angesichts der Seuche in Oran noch angeraten, Widerstandskraft aus Menschenliebe in existentieller Hoffnungslosigkeit zu gewinnen, was ist das Paradigma unserer Auseinandersetzung derzeit mit den wie wild gewordene Aliens auftretenden Viren? Soweit feststellbar, bieten sich Religion und Philosophie dafür gerade nicht an. Dieses Mal scheinen es die Naturwissenschaften zu sein, was einigermaßen verwunderlich ist; denn „die“ Naturwissenschaften des 18. Und 19. Jahrhunderts, mit einem Gewißheit voraussetzenden bestimmten Artikel, sind doch eher schon wieder von den Ungewißheiten, in die sie die Menschheit lediglich auf neue Weise geführt haben, eingeholt worden. Sich in dieser Pandemie der Wissenschaft zur Deutung und Lösung anzuvertrauen, - grob gesprochen, so als sei Corona in erster Linie eine Zumutung für die Machbarkeit, könnte ein Paradigma aufs Tapet bringen, dessen Gültigkeit schon zur Zeit Camus abgelaufen war. - Ich hatte jedenfalls gehofft, ohne Impfung davonzukommen, aber ich werde den Termin wahrnehmen, man hat ja sonst nicht mehr so viele.