Als ich mich gestern mit einem Bekannten in Islamabad chattender Weise austauschte über die allgemeine Stimmung schrieben wir uns - beide gleichzeitig -, daß es langweilig sei, „boring“. Gerade war in der SZ ein langer Artkel über einen im Zoo von Islamabad zu Tode gelangweilten Elefanten erschienen, der nun zwecks Aufheiterung für 500.000 EUR zu Artgenossen nach Kambodja ausgeflogen werden soll. An ganz unterschiedlichen Orten der Welt scheint das Bleiben des Virus nun nach der großen Aufregung über sein Erscheinen Langeweile und Lethargie zu verbreiten.
Die Sommerspektakel mit ihren Zornausbrüchen sind vorbei. Mein Schwager hat ein Haus auf Mallorca; im Sommer war er noch da, ganz mutig; nun fährt er mit seiner Freundin an den Tegernsee, obwohl jeder weiß, wie langweilig und ganz unbestreitbar dort die Schönheit ist. Ludwig II zog aber wohl den benachbarten Starnberger See vor. Trump hat Corona? So what? Geschieht ihm ganz recht. Scheuer hat gelogen. Scholz wahrscheinlich auch … ist nicht so wichtig. Brinckhaus entschuldigt sich für seine Person, er habe die Wiedervereinigung vor dreißig Jahren wie einen Anschluß gesehen, ziemlich abstrakt und ohne Blick auf die Leute, - recht so, aber zu spät; wir kommen schon so klar! Frau Merkel verspricht, daß alles wieder gut werden wird, wenn wir uns jetzt nur weiter an die Regeln halten, und fügt schon in Adventslaune hinzu: „Welch‘ Freude wird das sein!“ Nun ja, wer’s glaubt …
Herbstnebel … Im März bin ich mit Annekathrin in dem Auto, dessen Heider Kennzeichen Zugehörigkeit vortäuschte, vor Corona hierher nach Dithmarschen quasi geflohen. Erstmals habe ich über ein halbes Jahr - mit Unterbrechungen – in purer Gegend verbracht. Zuerst fiel noch ein ganz bißchen Schnee. Dann blühten brav die Obstbäume, und grüne Blätter kamen zum Vorschein. Die Gräben waren noch voller Wasser. Die Schiffe fuhren gemächlich unter meist hohem Himmel auf dem breiten Elbstrom vor dem Deich hin und her, und die Tage wurden richtig lang. Das machte schon Freude, und ich schrieb auf, was mir dazu so einfiel, - viel. In Neufeld „Op‘n Diek“ bekam man auf der Terrasse bald Maischollen serviert, wenn man denn eine Tisch in einiger Entfernung zum nächsten reservierte und sich die Hände am Eingang oben auf der Deichkrone desinfizierte. Die kleine alte Jakobuskirche in Brunsbüttel-Ort machte wieder auf und registrierte sorgfältig ihre Besucher. Die Kirchenverwaltung in Kiel hatte angeblich verfügt, daß wegen der Pandemie der Gottesdienst nur höchstens 35 Minuten dauern darf, so daß der Pastor das Sündenbekenntnis und die Epistellesung ausläßt, was ich nicht richtig finde. - Jetzt fallen die Blätter wieder und auch Nüsse, Äpfel und Quitten und Birnen. Eine Zeitlang haben die Wespen sich noch über die Birnen hergemacht, sind dann aber samt den Schmetterlingen verschwunden. Durchlöchert blieben die Birnen auf der Terrasse zurück. Jetzt ist es morgens um sieben immer noch dunkel, und das Aufstehen legt sich einem nicht mehr unbedingt nahe. Wind weht, immerhin, und, wenn ich barfuß über den weiten Rasen gehe, passe ich auf, daß meine Füße sich nicht an den Stacheln der herabgefallenen Eßkastanien stechen. Das Jahr ist still geworden. War da was, oder ist gar noch was?
Was haben sie gebracht, die anfängliche Aufregung und dann die viele Zeit danach, deren Ende nicht abzusehen ist? Langeweile, Angestrengtheit – immer noch - und eine gewisse Traurigkeit, habe ich den Eindruck. Der Heldenmut im Alltag wird in Tarifverträge gegossen, aber auch die Aufsässigkeit gegen das Virus ist weniger geworden. Man fügt sich. Stuttgart scheint sich erledigt zu haben. Die Infektionszahlen steigen erheblich. Aber nur eineinhalb Prozent der Intensivpflegebetten in den deutschen Krankenhäusern sind von Corona-Patienten belegt. Es geht also, wenn man nicht verreist, wenig feiert, Maske trägt, Abstand hält und oft lüftet. Übermäßiges Händewaschen hat sich inzwischen als unnötig erwiesen. – Ein Krieg, wie anfangs manchmal gemeint, ist die Auseinandersetzung mit Corona jedenfalls nicht geworden, vielleicht eine Art langer Belagerungszustand. Krieg schafft, so heißt es, Aufbruch, ist für manche sogar ein „Vater“ vieler, wenn nicht sogar „aller Dinge“. Die Zeit, als wir bezogen auf Corona an so etwas dachten, - die Beförderung von mehr Klimaschutz, mehr Gerechtigkeit für alle, und eine Lektion in Demokratie für den Autoritarismus, scheint schon wieder vorüber. Eine „bleierne Zeit“ scheint sich anzukündigen, ein nicht nur „deutscher Herbst“.
Radio Berlin Brandenburg bringt vor zwei Tagen überraschend den Hanna Ahrendt Film von Margarethe v. Trotha, den ich damit zum zweiten Mal sah. Insbesondere zwei Sätze blieben bei mir hängen. Der eine stammt von Heidegger und lautet ungefähr so: „Denken ist der Dialog zwischen dem Selbst und dem eigentlichen Selbst.“ Das kann man natürlich auch anders ausdrücken, ist aber richtig. Hanna Ahrendt meint, wohl daran anschließend, das Böse äußere sich im Raub eben des Denkens, und sei die Kraft der Banalisierung, was es natürlich nur noch gemeiner macht. So habe Eichmann, ohne sich Vorwürfe machen zu müssen, - ja nicht einmal zu können! –, wie eine Maschine seine Arbeit getan, gedankenlos. Das Böse sei nicht erhebend und könne sich auch selbst nicht erheben, - zu einem bösen Engel, Satan, Dark Vader oder etwas ähnlich Großem. Eichmann war insofern ein untaugliches Objekt für den Prozeß in Jerusalem, so wie er angelegt war. Für Arendt, die ihn im Auftrag der „New York Times“ beobachtete, war er die Probe aufs Exempel. Das Böse, - das ist jetzt ein Zitat von ihr – „kann extrem sein; nur das Gute ist radikal.“ Kein Manichäismus, keine Gleichgewicht von Gut und Böse! Hanna Ahrendt beantwortet damit auch Grundfragen der Theologie. Deswegen ist das Böse aber nicht schon nur relativ, während allein das Gute sich absolut denken läßt. Das Böse vernichtet und löscht aus, und das ziemlich absolut! Wahrscheinlich hat Langeweile mehr mit ‚banalem Bösen‘ zu tun als mit dem ‚radikalen Guten‘. Langeweile schleicht schwingungsarm daher, das Gute aber qua prinzipieller Radikalität vollzieht sich in großen Amplituden.
Die zweite Aufheiterung in diesen Zeiten offensichtlicher Langeweile wurde mir heute Morgen vom Bildschirm aus zu Teil, der Fernsehübertragung des ökumenischen Gottesdienstes zum TDE aus Potsdam. Der Gottesdienst brachte im Spannungsfeld von Exodus 16, 1 bis 3 – die Israeliten sind hungrig, genervt und gelangweilt von der langen – von Gott auf vierzig Jahre, wie für die DDR ja auch, angelegten – Wüstenwanderung – und Matthäus 15, 32 bis 39 – Jesu Speisung seiner viertausend hungrigen, aber nicht gelangweilten Zuhörer – sehr nachdenkenswerte Überlegungen hervor. Er war damit einfach ein Zeichen dafür, daß man etwas auch jetzt gut und damit einen Unterschied machen kann, also denken kann im Dialog des Selbst mit dem tieferen Selbst – oder s ähnlic - und so die als ‚banal‘ verdächtige Langeweile vermeidet.