Wird es eine Zeit nach der Pandemie geben? Zunehmend erscheint das fraglich. Die Einstimmung des Publikums durch die verantwortlichen Stellen, in Deutschland möglicherweise mehr als anderswo, geht eher in Richtung einer Gewöhnung an Corona bei auf unbestimmte Zeit andauernden Vorsichtsmaßnahmen. Die sollen möglichst eigenverantwortlich eingehalten werden und in Geschäften und Einrichtungen auch in deren Verantwortung, also wie immer.

Auch , als ich Kind war, stand auf Emailleschildern in der Straßenbahnen in Hamburg immer schon geschrieben: „Bei Niesen, Husten, Spucken bediene Dich des Taschentuchs!“ Nun also nur noch die Maske! Ist das so schlimm? Damit könnte man wieder ziemlich normal leben und seine Zeit beplanen. Wenn es dann – im Laufe des nächsten Jahres - gelingt, durch Impfungen und das Sammeln von Erfahrung im Umgang mit dem Virus, alle EU-Länder auf flache Schwingungskurven der Virusausbreitung zu bringen, dann wäre der Raum für derart wieder normale Bewegungen schon gar nicht mehr so klein. Zumindest wäre er regional ausgerichtet und nicht mehr von auf und zu machenden nationalen Grenzen abhängig. Den auch bisher schon von vielen falschen Vorstellungen und Illusionen gezeichneten globalen Raum allerdings entrückt uns Corona vielleicht auf längere Zeit. Der Umgang damit bleibt erst einmal ein Problem.

Macht das sich jedenfalls in einigen Breiten nun anbahnende Tieferhängen des Virus durch Einhegung und bewusste Angewöhnung - Verharmlosung besser nicht! – das große Nachdenken über die „Zeit danach“ schon obsolet? Wenn die Überzeugungen immer mehr dahin gehen, daß das Phänomen so bald nicht verschwinden wird, dann geht es nicht mehr so sehr darum, irgendwelche Lehren oder Stimmungen für die Zeit nach einem katastrophalen Ereignis festzuhalten, wie beispielsweise nach dem Erdbeben von Lissabon, sondern in erster Linie darum, sich pragmatisch auf eine veränderte Situation einzustellen. Katastrophe war gestern. Zum Teil mag das ja auf dasselbe hinauslaufen, aber der Diskussion wird doch weniger grundsätzlich und programmatisch. Die Cholera z. B. hatte in Europa noch bis zum Hamburger Cholera-Jahr 1892 immer wieder schrecklich gehaust; ein absolutes Gegenmittel wurde nie gefunden ; aber als man den – oder heißt es auch das? – Bazillus identifiziert und die Hygienebedingungen in den Städten verbessert hatte, sprach kaum noch jemand davon, und das Leben ging einfach weiter.

Was hinderts, dass es mit dem derzeitigen Virus auf absehbare Zeit auch zu läuft? Es ist anzunehmen, dass wenn die Cholera ausbrach, die Krankheit selbst, die Ungewissheit und die oft erratischen Gegenmaßnahmen und Beschränkungen die Menschen im vorletzten Jahrhundert ähnlich getroffen haben, wie das Coronavirus uns derzeit noch trifft. Eine Begegnung mit dem Potenzial, das menschliche Bewusstsein auf Dauer zu verändern, war die Begegnung mit der Cholera offenbar nicht gewesen. Wahrscheinlich macht es deshalb auch wenig Sinn, die Diskussion um möglicherweise als Folge des Virus bleibende Einwirkungen auf das menschliche Lebens auf der Erde anders als pragmatisch, also in einem eigenen und besonderen ethischen oder religiösen Diskurs zu führen. Nach meiner Wahrnehmung kommt ein solcher Diskurs auch kaum vor. Gesprochen wird hingegen - soweit wir abgeschirmt sind von der akuten in Indien oder Mexiko herrschenden Not, - über den besonderen Raum, in dem wir uns in dieser Zwischenzeit bis zur ‚Normalisierung‘ des Virus aufhalten, einem Zeitraum z.B. der Erholung im Jetzt .

Die Frage ist, ob die Energien und Anstrengungen, die weiterhin jenseits des Jetzt aufgewendet werden, um die Zwischenzeit zu durchmessen, über die Zähmung des Virus hinaus mit der Bewältigung der Fragen unserer Zeit im Übrigen schon verbunden sind oder noch verbunden werden können. Hat das Auftreten des Virus selbst Wurzeln in diesen bestehenden Herausforderungen? Ist die Auseinandersetzung mit dem Virus also schon Teil des ziemlich weltweiten Streits um die richtige Regierungsform, der weltweiten Forderung nach sozialer Gerechtigkeit z.B. im Gesundheitswesen oder des Einsatzes für die Abwendung der Klimakatastrophe? Oder muss und kann eine Verbindung von sich gegenseitig verstärkenden Energien hergestellt werden, - solange es dafür ein Zeitfenster gibt? Es kann ja auch sein, dass der zunehmend pragmatische Umgang mit dem Virus bald nur noch einige Usancen unseres täglichen Lebens verändert, aber zu keinem stärkeren Impuls mehr taugt in welche Richtung auch immer.