10. März 2034

Rudra (28) sitzt auf der großen Terrasse seiner kleinen Wohnung in Nord-Delhi, die die Eisenbahngleise nach Chandighar überragt, und wartet auf den Sonnenaufgang, um mit dem Schreiben zu beginnen. Als er gestern Abend erfuhr, daß sein Vater an der neuen Variante des Covid-Virus erkrankt war mit durchaus ernsthaften Symptomen der Krankheit, hatte er sich gewundert und beschlossen, soweit er sie versteht, die Geschichte seines Vaters aufzuschreiben.

10. März 2034

Moritz (23) ließ seine Beine vom Balkon seiner WG in Leipzig baumeln. Seine Augen suchten durch das Gitter das Weite, während seine Freundin in umgekehrter Richtung Erdbeerjoghurt durch die Eisenstäbe in seinen Mund löffelte. Es war der 10. März 2034, und die Sonne schien. „Corona“, dachte Moritz, als er seinen Blick aus der unbestimmten Ferne auf den schon wieder durch die Balkongitterstäbe näher kommenden erdbeerrot beladenen Löffel lenkte.

Wohl lange nicht mehr hat ein Neues Jahr für einen großen Teil der Menschheit, kaum daß es begonnen hatte, so alt ausgesehen wie dieses Jahr 2021! Und auch dem Alten Neuen Jahr, zu dem die orthodoxen Christen vierzehn Tage später noch einmal aufatmen, ging es nicht besser. Zumindest was die Coronalage angeht, und das ist heute ja im Wesentlichen 'die Lage', ging es unbeeindruckt vom Kalender einfach weiter wie zuvor.

Es war – und bleibt – ein Jahr der Niederlage. Jeder und jede kann diese Aussage wahrscheinlich auch auf sich selbst beziehen. Da war auch ‚unser‘ knapper Sieg über den Herrn Trump keine wirkliche Ausnahme. Der Sündenbock, dem wir und die Amerikaner so gern einiges aufpacken, ist bisher nicht beladen in die Wüste davongetrottet. Und nicht ohne Zusammenhang damit hat das Virus ‚unserer‘ Welt und ihren Ansprüchen auf immer mehr Sicherheit und „Wohlfahrt für alle“, die Ludwig Erhardt uns nach dem Zweiten Weltkrieg versprach, eine Niederlage beigebracht.